Gegenstand der Industrieanthropologie ist die Erforschung der Wechselwirkungen von Gebrauchsgegenständen und Arbeitplätzen und den sie benutzenden Menschen.
Viele Tätigkeiten, insbesondere im Arbeitsumfeld, werden längerdauernd, regelmäßig und langfristig durchgeführt. Sie stellen damit hohe Belastungsansprüche an den Menschen. Biomechanisch oder wahrnehmungspsychologisch ungeeignete Bedingungen erhöhen das Unfallrisiko und die Gefahr von körperlichen Verschleißerscheinungen, und sie verringern die Arbeitsproduktivität und beschleunigen die Ermüdung.
Die Schaffung geeigneter Arbeitsbedingungen ist damit nicht nur eine Frage des Komforts, sondern auch von unmittelbarer (volks-)wirtschaftlicher Bedeutung. Ein an die körperlichen und psychischen Ansprüche des Menschen angepasstes Umfeld und ein für die Benutzung optimiertes Design von Gerätschaften sind daher von großer Bedeutung.
Die Industrieanthropologie erfasst zunächst geeignete Bevölkerungsdaten (vor allem anthropometrische und biomechanische Messungen, aber auch wahrnehmungspsychologische Erhebungen).
Im einfachsten Fall dienen diese als Maßgrundlagen etwa für Konfektionskleidergrößen oder Möbel. Da sich absolute und relative Körpermaße regional und zeitlich unterscheiden und auch verändern, sind regelmäßige Aktualisierungen der Datenreihen notwendig.
Komplexer ist der Einfluss auf die Gestaltung von Werkzeugen oder Maschinen, bei deren Design neben der eigentlichen Funktionalität die Ergonomie (also die Handhabung durch den bedienenden Menschen) zu berücksichtigen ist. Von einfachen (etwa Form und Dimensionen eines Axtgriffs) bis hin zu aufwändigen Mensch-Maschine-Schnittstellen (etwa einem Flugzeugcockpit) müssen die technischen Anforderungen mit den menschlichen Bedürfnissen in Einklang gebracht werden. Eine wichtige Aufgabe der Industrieanthropologie ist also die Beratung, wie beim Design von Werkzeugen, Bedienelementen, Arbeitsprozessen, Fahrständen, Arbeitsplätzen oder sogar Software Benutzerfreundlichkeit und Gebrauchstauglichkeit optimal verbunden werden können.
Die entsprechenden Ergebnisse und Anforderungen werden dann in Normvorgaben (z.B. DIN) festgehalten, um eine weitgehend optimierte Arbeitsumwelt gewährleisten zu können.
Während in früheren Jahren das Augenmerk vor allem auf der Erleichterung schwerer körperlicher Arbeit in der handwerklichen oder industriellen Fertigung lag, hat sich in neuerer Zeit der Fokus verschoben. Immer mehr Menschen gehen einer sitzenden, insgesamt bewegungsarmen Arbeit am Bildschirm nach. Hieraus ergeben sich ganz andere physische und physiologische Belastungen; der Arbeitsplatz selbst ist virtuell, die benutzten Werkzeuge Softwareprogramme.
Die physisch-biomechanische Komponente spielt bei deren Benutzung kaum eine Rolle; relevant sind hier vielmehr die menschlichen Fähigkeiten zur Informationsaufnahme und -verarbeitung, das Verständnis von Wahrnehmungs- und Denkprozessen sowie psychologische Einflussfaktoren wie Farben, Formen und Mustern. Auch hier sind menschliche Bedürfnisse und die Gebrauchstauglichkeit der Programme in Einklang zu bringen, auf der Grundlage von kognitions- und arbeitspsychologischen Erkenntnissen.
(Martin Trautmann)