Das Teilgebiet der Forensischen Anthropologie befasst sich mit Untersuchungen, die in straf- oder zivilrechtlichen Verfahren relevant für die Urteilsfindung sind.
Inhaltlich bestehen Überschneidungen mit dem Gebiet der Rechtsmedizin. Rechtsmedizinische Untersuchungen haben ihren Fokus auf der pathologischen und traumatologischen Befundung – also in der Feststellung, wie und mit welchen Folgen es zur Beeinträchtigung der körperlichen Integrität eines Opfers kam.
Da für den Anthropologen die Erfassung und Beurteilung individueller oder gruppenspezifischer Merkmale des Menschen sowie die Einschätzung der Variabilität und Häufigkeit bestimmter Merkmale zentraler Bestandteil der Ausbildung sind, liegt der Tätigkeitsschwerpunkt hier auf der Identifizierung von Menschen: Ist Person A identisch mit dem Täter bzw. Opfer? Stammen die Spuren vom Täter bzw. Opfer?
Zur Beantwortung vergleicht die Forensische Anthropologie je nach Spurenlage verschiedene physische und nicht-physische Merkmale (z. B. Morphologie des Gesichtes oder anderer Körperpartien, Fingerabdrücke, DNS, Haarspuren, Gangbild, Sprachmuster, Handschrift u.a.); bei einer Abweichung kann eine Person als Täter ausgeschlossen werden. Liegt keine Abweichung vor, kann ein Maß der Wahrscheinlichkeit angegeben werden, mit dem der Verdächtige in Relation zur Gesamtbevölkerung als Täter infrage kommt.
Ein Sonderfall der Identifizierung ist die Untersuchung der Überreste unbekannter Toter; neben einigen der oben genannten Merkmale werden hier individuelle Merkmale am Skelett (z.B. Zahnstatus, anatomische Varianten, Pathologien) herangezogen, auch die Rekonstruktion des Gesichts anhand des Schädels oder die Herkunftsanalyse anhand von Morphologievergleich, Spurenelementen– und Isotopensignaturen im Knochen finden Anwendung.
Überlappend zu Methoden der Rechtsmedizin kann die Forensische Anthropologie auch Fragen zu Liegezeit und Liegemilieu oder besonderen Behandlungen eines Kadavers beantworten, sowie insbesondere am Skelett Verletzungen oder andere Läsionen bewerten und interpretieren.
(Martin Trautmann)